Linie 4

Straßenbahnlinie 4 habe ich zu meiner Lieblingsstrecke auserkoren.
Am Knotenpunkt Domsheide wartet man nie lange auf die Vierer. Nach dem Einsteigen geht es gleich über die Weser, der Blick schweift weit dahin, dann biegt der Zug ein in den kleinbürgerlichen Buntentorsteinweg: würdige alte Häuser, winzige mit Klinkerpappe verkleidete Zigarrenmacherhäuschen, in Lücken gebaute schnöde Etagenklötze, altmodische Videotheken, türkische Gemüseläden und Kioske, olle Kaschemmen. Es geht schnell voran und schon – ist man in Kattenturm, dort stehen eigenartige Haltestellenhäuschen, die ein rostfarbenes Geästel überzieht, dieses rötliche Geästel setzt sich nach hinten in den wintersonnig beleuchteten großen Stadtbäumen fort. Nun kommt der beste Teil der Fahrt, ich bin mir sicher, daß es morgens bei den Fahrern und Fahrerinnen Streit gibt um die Linie 4, denn die Fahrt auf dem weiten Streckenabschnitt nach Obervieland gleicht dem Start einer Concorde auf Schienen. Zoosch, es wird maximal beschleunigt, die Bahn rattert nach oben, über einen Wassergraben und den Autobahnzubringer, und dann mit Schwung nach unten – ach, schon da?
Wenn man Glück hat, steht bei der nächtlichen Rückfahrt eine religiöse Fee im fast leeren Waggon, langes glattes Haar, langer langweiliger Rock, verloren blickt sie umher, kommt heran und fragt sehr freundlich und in gewählten Sätzen, ob sie ihre Botschaft übermitteln darf. Wenn man ihr zuhören will, erklärt sie in leisem Ton, auf etwas abwesende Art ihre Welt und bietet am Ende die Auswahl an zwischen einem gemeinsamen Gebet, einem Gebet von ihr für einen selbst oder keinem Gebet.