Memoiren einer Kundin
Früher habe ich Kaufhäuser abgelehnt, erst jetzt, wo sie vom Konkurs bedroht sind, erkenne ich ihren ganzen Wert. Ja, es geht auch um schnöden Konsum, aber nur am Rande, in Wirklichkeit ist es ein jeden Tag neu improvisiertes Realspektakel. Unterschiedlichste Menschen kommen durch luftdurchblasene Eingangsportale hinein in den Einkaufspalast. Schon berauscht, fahren sie die Rolltreppen rauf und runter, suchen nach Schnäppchen, durchwühlen Kleiderständer, lassen sich beraten, reklamieren und tauschen um. Personal steht in abgelegenen Ecken und lästert über die Kollegen. Nirgends gibt es so kompetente Fachverkäuferinnen, wie in den Warenäusern. Niemand kann einem nebenbei so viel über die Qualität von Strümpfen beibringen, nirgends wird man so dezent höflich dabei begleitet, einen Bademantel auszusuchen. Die mächtigsten und autoritärsten Verkäuferinnen sind in der Unterwäscheabteilung. Dort dominieren sie die Umkleidekabinen, reissen die Vorhänge auf und zu, räuspern sich vorwurfsvoll vor dem Umziehkabuff, um neue Ware hereinzureichen. Man sitzt auf Schuhanziehspezialstühlen, probiert nur rechte Schuhe an, und die Verkäuferin nimmt die Mühe auf sich, die linken Schuhe aus dem Lager zu holen und beim Kauf empfiehlt sie noch ein überteuertes Pflegeprodukt, aber das ist nur rhetorisch. Überall riecht es anders, in der Parfümerie ist man der Ohnmacht nahe, man muss durch Schwaden des billigen Tester-Parfüms, das sich Schülerinnen im Vorbeigehen auf das Handgelenk sprühen. Woanders liegt der Duft nach neuem Leder in der Luft, in der Spielwarenabteilung nach Plastik und Lack. Automatische Durchsagen machen auf die neusten Prozentaktionen aufmerksam, interessant wird es, wenn ungeübte Stimmen etwas live durchsagen, z.B. „ Zweiundvierzig bitte, Sieben…“ Wartende Männer sitzen neben großen Tüten, erschöpft von Geräuschpegel und Sauerstoffmangel. Einsame durchstreifen die Abteilungen, um dabei zu sein, Rentnergruppen sitzen Stunde um Stunde im Kaufhausrestaurant, bezahlen dann mit Klimpergeld, Kinder versuchen ihre ersten Mutproben-Diebstähle. Wo könnte man schöner Frustkäufe tätigen, wenn nicht hier?