Die vier Phasen der Tagesetappe

Die vier Phasen der Tagesetappe
Was für ein Sommertag, wie ist die Luft so frisch, ein leichter Wind fächelt im Rücken, die Morgensonne flirrt durch das Laub, am Wegesrand steht wilder Oregano, locker drehen sich die Pedale, hier sieht es aus, wie früher in den Sommerferien…
….zu viel Sonne im Nacken, jetzt auch noch bergauf, wie im Backofen ist das hier, wäre ich doch früher aufgebrochen. Die Personenfähre fährt nicht am Montag – unerhört – das bedeutet 15 Kilometer mehr Gestrampel, keine Bank, kein schöner Platz zum Rasten, hätte ich doch den vorhin genommen, oh nein, Schotterpiste, wie das staubt, jetzt auch noch an der Autostraße entlang…
…endlich ein Plätzchen am Ufer im Schatten. Der Käse schwitzt, aber er schmeckt auch lauwarm, ein Nickerchen, ein Bad im Kanal, ist doch ganz schön hier…
…nur noch 18 Kilometer, der Kaffee war gut, die Schatten werden länger, mehr Kühe stehen auf den Wiesen, Schmetterlinge flattern, Grashüpfer zirpen, wie schön es hier ist, wie damals in Frankreich…

Immer parat

Immer parat

Tante Barbara ist schon etwas vergesslich, aber imer noch unternehmungslustig. Wenn sie an der Bushaltestelle bemerkt, dass sie ihre Maske zu Hause liegen gelassen hat, nimmt sie schnell eine von denen, die auf den Trottoirs herumliegen.

Landmaschinen-Müllä

 

(Pardon für mein schlechtes Anfängerinnen-Pfälzisch)
-Ja, hier Landmaschinen-Müllä?
-Morsche, isch möscht neunzehn Traktore beschtelle, so grüne…
-Kaa Problem, warum nemme Se net zwansisch, dann gibts aan Mähdräschä gratis dazu?
-Issä denn im gleische Grün?
-Eijo
-Dann simmä uns einisch…

Das Schweigen der Postboten

Das Schweigen der Postboten
Die Sonne scheint, ich sitze mit einer Tasse Tee vor dem Haus. Der Postbote geht von rechts nach links vorbei, kurze Begrüßungsformel, dann ist er um die Ecke. Da es sich um eine Stichstraße handelt, kommt er nach wenigen Minuten von links zurück, er peilt meinen Briefkasten nicht an und nach dem Alltags-Konversationsratgeber wäre nun eigentlich mein Satz fällig: „Für mich haben Sie heute nichts dabei?“ Da denke ich, diesen Satz musste der Mann schon zigtausendfach beantworten, lass es lieber. Der passierende Postbote schaut lauernd aus den Augenwinkeln zu mir hin und denkt: „Jetzt fragt sie gleich diesen Satz, den ich schon zigtausendfach beantworten musste…“, Sie fragt aber nicht, hat auch momentan keine andere Aussage in Petto, deshalb nur ein unentschiedenes Grinsen, vielleicht weiß ER ja noch eine gute Floskel? Nein, der Mann ist eher von der schweigsamen Sorte, so geht die Situation wortlos ihrem Ende zu. Kommunikation ist knifflig.

Bachblüten selbst mischen – Kurzeinführung:

Bachblüten selbst mischen – Kurzeinführung:
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Walnuss: für Holzköpfe
Zitterpappel: für Angsthasen
Stechpalme: für Kratzbürsten
Schottische Kiefer: für Geizhälse
Bleiwurz: für Faulpelze
Drüsentragendes Springkraut: für Choleriker
Sumpfwasserfeder: für Ungustl und Sumpfnelken
ab hier können Sie die Liste selber fortsetzen…

titanic  02/22

Schicksalhafte Wendung

Schicksalhafte Wendung
Brüche im Leben gibt es bei allen Menschen. Öfter ist es so, dass jemand nach überstandener schwerer Krankheit das bisherige Streben nach Geld und Ruhm infrage stellt und beschließt, den sinnentleerten Job im Reisebüro, in der PR-Agentur (sehr viel seltener vielleicht auch im Schlachthof) hinzuschmeißen, um nur noch zu malen, zu töpfern, zu fotografieren, einen Gemüsegarten anzulegen oder zu schreiben. Es erfolgt allerdings nicht zwangsläufig eine Neuausrichtung zum Kontemplativen, Musischen. In meiner Bekanntschaft gibt es einen Fall, in dem der genesene junge Künstler seine Erfüllung als skrupelloser Miethai fand.

titanic  01/22

Sicherstes Automobil der Welt

Sicherstes Automobil der Welt
Der Traum vom spritschluckenden Panzer in der Garage, der bei eventuellen Unfällen die anderen Verkehrsteilnehmer in ihren Blechbüchsen zermalmt – er ist nicht neu: Bereits in den Achzigern fuhr man als friedensbewegter Akademiker, als Kulturbeauftragter mit langem wehenden Mantel, einen kantigen Volvo-Kombi, den Ur-SUV.

titanic 11/21

Berufung

Berufung
Eine Großtante kam zu Besuch. Sie wurde im Zimmer meines etwa zwölfjährigen Bruders einquartiert, dort hingen von ihm gezeichnete Bilder aus dem Kunstunterricht an der Wand. Die agile Frau war eine pensionierte, aber immer noch leidenschaftliche Pädagogin. Das konnten wir nach ihrer Abreise an den mit Rotstift korrigierten Bildern erkennen, an den akkuraten Wolken, den hübschen Blumen und dem exakten Schattenwurf.

titanic 10/21